Urheberrecht im Internetzeitalter – aber wie?
Die nmz (neue musikzeitung) im Interview mit dem GEMA-Aufsichtsratsvorsitzenden Prof. Dr. Enjott Schneider
Ein Artikel von Franzpeter Messmer, nmz, Ausgabe 7/12 – 61 Jahrgang:
Seit März 2012 ist Prof. Dr. Enjott Schneider Aufsichtsratsvorsitzender der GEMA. Aus diesem Anlass erschien in der Mai-Ausgabe ein ausführliches nmz-Gespräch. Das folgende Interview geht der Frage nach, wie Urheberrecht in der globalen, vom Internet bestimmten Welt durchgesetzt werden kann.
Enjott Schneider ist einer der vielseitigsten und kreativsten Künstler unserer Zeit. Er ist Schriftsteller, Komponist von Opern, Oratorien, Orchesterwerken und über 600 Filmmusiken, Dirigent und Hochschullehrer. Das Interview kam global und mit Hilfe des Web im Mai zustande: Enjott Schneider war als Composer in Residence in Beijing. Dabei wurden „At the edge of time” uraufgeführt.
nmz: Auf die Frage „Woran starb Mozart?“ haben Sie 2009 im nmz-Fragebogen geantwortet: „Als man ihn zum GEMA-Aufsichtsrat wählen wollte. Doch bevor er sich mit den ‚Geschäftsmodellausnutzern‘ hätte herumschlagen sollen, wählte er den Heimgang in Frieden.“ Sie sind jetzt als Aufsichtsratsvorsitzender gewählt und auch als Dirigent und Komponist aktiver denn je. Doch die GEMA ist heute umstritten, insbesondere bei jungen Menschen. Mozart lebte in einer Zeit ohne Urheberrecht. Werden wir bald wieder eine Situation wie Mozart haben?
Enjott Schneider: Heute hat sich die Lage verschärft. Wir haben eine neue Front: Es geht um die unbefugte Nutzung von Musik im Internet und um die Abgrenzung dessen, wo die Nutzung von Musik noch kostenfrei ist und wo nicht. Das Problem ist, dass in den 20 Jahren des Digitalisierungsprozesses von Kunstwerken der Unterschied von Original und Kopie verschwunden ist: Eine elektronisch notierte Orchesterpartitur ist nur noch ein Datenkluster von wenigen Megabytes auf CD oder Stick, von Tonstudioaufnahen bleibt kein kiloschweres Tonband mehr übrig, sondern noch noch abstrakte Audiofiles. Ein Audiofile ist digital transportierbar, unstofflich, beliebig kopierbar. Die tausendste Kopie ist genauso gut wie das Original, – das hat die Musik im gewissen Sinne wertlos gemacht.
nmz: Kommen wir also zu einer ähnliche Situation wie bei Mozart zurück?
Rückfall ins Mittelalter
Schneider: Beschneidung des Urheberrechts wäre ein Rückfall in frühere Jahrhunderte… oder gar ins Mittelalter: wenn nur noch unbeschriftete audiofiles von Musikstücken ausgetauscht werden und die Autoren anonym bleiben, dann haben wir jene Komponistenangabe „Anonymus“, die bis ins Spätmittelalter typisch war. Das Urheberrecht ist ein europäischer Diamant. Es ist als Grundsubstanz von Demokratie und Meinungsfreiheit gewachsen. Die „Meinung“ als persönliches Eigentum war Voraussetzung aller demokratischer Systeme. Dieselbe Rückbewegung ins Anti-Humanistische ist nicht nur im Kontext des geistigen Eigentums festzustellen, sondern auch im Kontext der kapitalistischen Strukturen. Im digitalen Zeitalter fällt der mühsam errungene gewerkschaftliche Schutz von Arbeit weg und der ‚Kapitalist‘ (Konzerne, Investmentpools, Majors) haben wieder unkontrollierte Macht. Wir sind uzurückgefallen auf Arbeitssituationen, wie sie Karl Marx für 1850 beschrieben hat: Jeder ist Heimarbeiter, schuftet bis in die Nachtstunden (im eigenen Zimmerchen mit Computer) als Konkurrent der anderen Heimarbeiter zu dumping-Gehältern, – erpressbar, ungeschützt ausgebeutet! Im 19. Jahrhundert wurden parallel zum Urheberrecht auch Gewerkschaften, Schutz der Leistung und Arbeitsrechte mühsam erkämpft… was wir heute wieder preisgeben. Arbeitssituationen im digitalen Zeitalter korrelieren momentan genau den von Marx kritisierten Verhältnissen. „Kreative“ leben zunehmend in jenen Strukturen der Armut und Rechtslosigkeit, wie es um 1850 – der „Frühindustrialierung“ – der Fall war. In späteren Zeiten wird man von unserer Zeit als den „chaotischen Jahren der Frühdigitalisierung“ sprechen!
Zwei Welten: Copyright und Urheberrecht
nmz: Aufgrund des weltweiten Internets ist auch das Urheberrecht eine globale Frage. Welche Schwierigkeiten gibt es hier?
Schneider: Es gibt einen Antagonismus zwischen dem Urheberrecht im europäischen Sinn und dem Copyright im amerikanischen Sinn. Urheberrecht in Europa ist unveräußerlich und bleibt immer mit dem Namen des Urhebers verbunden. Es kann nicht mit einem ‚total buyout‘ jemandem abgekauft werden. Das amerikanische Copyright aber kann zur Gänze auf einen neuen Rechteinhaber übergehen. Dann gehört ein Werk mir nicht einmal mehr namentlich, ganz zu schweigen von der finanziellen Verwertung. Die Verwechslung von Urheberrecht und Copyright ist tragische Realität geworden, weil heute in EU/Brüssel und bei internationalen Verhandlungen englisch gesprochen wird: alle reden von „copyright“ und nicht mehr von „auhtor’s right“… und die Autoren fallen aus dem Denkraster.
nmz: Hier stoßen also zwei ganz verschiedene Rechtsvorstellungen aufeinander. Welche Gefahren sehen Sie?
Schneider: Bei Lizenzierung von YouTube und anderen Filehostern pocht die GEMA darauf, dass der Urheber unabänderlich das Maß aller Dinge ist. Lizenzerträge müssen letztendlich an die einzelnen Autoren fließen. In der amerikanischen copyright-Systematik sind dagegen meist große Datenkonzerne wie zum Beispiel Google, Disney, Sony oder EMI vorgeschaltet. Da wird eher in den Prozenten von Marktanteilen gerechnet und werden den Konzernen Pauschalbeträge bezahlt. Bei solch prozentualer Pauschalisierung kommt beim „kleinen Autor“ kaum mehr eine Bezahlung an. So wollen wir eben, dass zum Beispiel YouTube nicht anonym pauschal bezahlt, sondern namentlich, also nutzungsbezogen. Wir verweisen litaneihaft darauf hin, dass am Ende der GEMA-Kette 60.000 Rechteinhaber stehen, deren Namen nicht gestrichen und zum mittelalterlichen „Anonymus“ rückgeführt werden dürfen.
nmz: Doch die Piraten-Partei hat, wie die jüngsten Wahlen zeigen, eine große Anhängerschaft. Wie kann man damit umgehen?
Schneider: Die Piraten sind letzterzeit durchaus von der öffentlichen Meinungen und Appellen der Kreativen in die Enge getrieben worden. Jetzt argumentieren sie: Wir wollen nicht das Urheberrecht abschaffen, sondern die Rechte der Verwertungsketten (Verlage, Labels usw.) eingrenzen. Da werden nun Urheber und die Verwerter von Urheberrechten auseinanderdividiert. Doch das ist weltfremd: Wir Komponisten und Texdichter brauchen „Verwerter“. Wir brauchen erfolgreiche, international aufgestellte Verlage und brauchen Labels sowie Distributionssysteme, die unsere Musik zu den Hörern bringen. Sonst hätten wir statt Musik BWL und Jura studieren müssen! Das Feindbild „Musikverwerter“, das die Piraten aufstellen, gibt es aus Sicht der Urheber nicht – wenn fair miteinander umgegangen wird. Im internationalen Bereich wird durch die Copyright-Systematik manches verwässert, da hier tatsächlich die großen Konzerne, Majors und Labels auf buyout-Basis ihren Profit ohne die Autoren machen können. Das alles ist leider für Außenstehende nur schwer zu verstehen.
Einfache und zukunftsfähige Bezahlstrukturen
nmz: Welche Möglichkeiten gibt es in diesem Umfeld, das Urheberrecht durchzusetzen?
Schneider: Die Akzeptanz des Urheberrechts bleibt nur dann erhalten, wenn wir einfache und zukunftsfähige Nutzungs- und Bezahlstrukturen entwickeln, bei denen der Ertrag aus einer Musiknutzung beim einzelnen Autor ankommt. Es muss sich etwas Ähnliches wie etwa in den Nahverkehrverbundnetzen der großen Cities etablieren: In diesem Verkehrsnetz kann ich wahlweise mit Einzelkarte, Zehnerkarte oder einem Abonnement alle S- und U-Bahnen, Busse oder Straßenbahnen benutzen. Etwas Analoges wäre als Lösung zum Beispiel für YouTube anzustreben. YouTube ist „an sich“ eine wunderbare Demokratisierung von Ideen, ein Kulturschaufenster von Japan bis Kanada. Doch wer in diesem Netz „eine Strecke fährt“, der sollte (bei kommerziellen Inhalten) für das genutzte Musikstück mit simplem Click (wie im städtischen Nahverkehrsnetz) auch etwas bezahlen. Bei einem Filmchen wird halt ein Cent …oder viel weniger fällig. Macht jemand im Monat 1.000 Klicks, zahlt er 5 Euro, macht er keine, zahlt er nichts… oder es gibt Ermäßigungen und Abo-Tarife. Die schwarzen Schafe, die umsonst „fahren“, müssen freundlich ermahnt werden, endlich fair zu den Urhebern zu werden.
nmz: Was ist das Ziel des Rechtsstreits zwischen GEMA und YouTube?
Schneider: Wenn die GEMA mit YouTube verhandelt, will sie nicht Videos sperren lassen oder die Idee „YouTube“ aus der Welt verschwinden lassen. Andere nationale Verwertungsgesellschaften haben zwar längst mit YouTube Nutzungsvereinbarungen geschlossen, doch nicht nach unserem Grundsatz: Am Ende der Bezahlkette muss der Name des einzelnen genutzten Autors stehen. Wir wollen nicht pauschal drei Millionen von YouTube erhalten, sondern im Sinne von Transparenz wissen, wer im Detail auf YouTube genutzt wurde. Auf Konzernebenen schüttet YouTube momentan gemäß Marktanteilen soundsoviel Geld prozentual an ein Major-Label oder Gesellschaft aus: Dieses Geld ist aber nicht weiter verteilbar, weil man die Urhebernamen nicht kennt. Somit bleibt alles im „großen Topf“. Wenn die GEMA ein paar Millionen für den „Großen Topf“ erhalten würde, könnte sie das nur nach dem Zuschlagsprinzip weiterverteilen: das heißt Dieter Bohlen, der 2011 einer der meistgespieltesten Songautoren war, würde aus den anonymen YouTube-Einnahmen demnach einen hohen Anteil bekommen. Leute, die unbekannt, aber überraschend kreativ sind und als kleine No-Name-Band auf YouTube einen unerwarteten Erfolg hatten (womöglich mit drei Millionen Clicks) würden gar nicht verrechnet werden; denn diesen No-Name-Komponisten kennt im „Großen Topf“ ja niemand.
nmz: Wurde ein solches Bezahlsystem schon entwickelt? Ist das technisch schon möglich?
Schneider: Das wäre technisch möglich. Telefonfirmen und ringtone-Anbieter haben es schon lange vorgemacht. Durch weltweite Musiktitel-Codifizierung kann leicht nachvollzogen werden, wer einen Musiktitel im Netz benutzt.
nmz: Ist es also „nur“ eine Frage der Durchsetzung?
Schneider: YouTube muss zunächst im Grundsatz akzeptieren, dass sie für die Inhalte der Plattform verantwortlich sind. Das wurde gerade im jüngsten Gerichtsurteil durch die GEMA erstritten. YouTube haftet für die Vergütung an die einzelnen Urheber. Wenn nun (hoffentlich bald) Geldausschüttungen von Youtube auf einzelne Autoren bezogen sind, dann wäre die digitale Welt in besserer Ordnung und auf dem richtigen Weg.
nmz: Die Piratenpartei und Bündnis90/Die Grünen wollen die Schutzfristen verkürzen. Was halten Sie davon?
Schneider: Die Länge der Schutzfristen ist weltweit keine feste Größe. Es gibt die europäische Variante von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers, es gibt Länder mit Schutzfristen bis zu 90 Jahren, aber auch Nationen mit nur 20 oder 10 Jahren. „Weltmeister“ mit der kürzesten Schutzfrist ist der Irak mit nur 5 Jahren. Das zeigt: Solche Probleme müssen international auf dem ganzen Globus geregelt werden. Wenn etwa im Irak Frieden eintritt, gehen die Datenkonzerne dorthin und betreiben dann ihr Geschäftsmodell mit Hilfe der weltweit kürzesten Schutzfrist. So wie wir alle – wenn es um die Frage des sauberen Wassers oder der reinen Luft geht – nur auf einem einzigen Planeten leben, so müssen wir die Fragen des pub
lic domain, des Urheberrechts mit allen seinen Facetten ebenfalls international regeln. Das ist übrigens der Grund, warum sich die GEMA international so kraftvoll aufstellt. Vogel-Strauß-Politik zu machen und zu sagen, „wir wollen nur für Deutschland regeln“ – das geht schon längst nicht mehr.
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